Unverbunden
Ich kann und will nicht behaupten, dass man sich aus dem Unglück herausschreiben kann, dass das Schreiben auf schlafwandlerischer Weise auf den Pfad der Genesung zu führen in der Lage wäre. Doch gleichzeitig ist doch das Verschriftlichen von Bildern, von Gedanken und Gefühlen ein Mittel, dass einem die Möglichkeit an die Hand gibt, gewisse Missverständnisse und Hindernisse auf dem Weg zur Klarheit über die Menschen und das Leben aus dem Weg zu räumen. Vielleicht ist es auch das Schreiben, das den Horizont erweitert, das die Verengungen, in die uns der Alltag immer wieder abdriften lässt, aufzusprengen imstande ist.
Es ist fatal, dass wir als Menschen dazu gezwungen sind, Meinungen zu haben, gewisse Standpunkte einzunehmen und unser Verhalten danach auszurichten haben. Zu oft fühle ich mich in meinem Dasein ganz und gar handlungsunfähig, da ich einfach keinen blassen Schimmer habe, wie gewisse gesellschaftliche Konstellationen zu betrachten wären, um eine den Fortschritt ermöglichende Perspektive einzunehmen. Alles ist im Fluss, der subjektive Blick auf objektive Verhältnisse ändert sich andauernd. Vielleicht ist es deshalb einfach nötig, dem was gerade da ist, einen Raum zu geben, um gleichsam nicht in Gefahr zu geraten, an gewissen Meinungen starrsinnig festzuhalten. Laissez faire, laissez passer, diese Motto sollte unseren Umgang mit den Meinungen, die wir uns im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Umständen angeeignet haben, auszeichnen. Doch das gesunde Individuum benötigt so etwas wie einen Wesenskern, nach dem sich sein Verhalten ausrichtet. So wie die Nadel des Kompasses stets nach Norden zeigt, so sucht auch der Einzelne nach einer eindeutigen Ausrichtung seiner Gesinnung. Sprunghaftigkeit und Zweifel erscheinen ihm dabei als Laster, die dem Charakter des gesunden Menschen widerstreben, da sie ihn schwächen und allmählich auszuzehren drohen. Dennoch muss ich eingestehen, dass der Wesenskern des Individuums ein stetes Ringen zur Voraussetzung hat, ein Ringen, das eine Gedankenleistung voraussetzt. Verzweiflung, Depression, Angst und Zwanghaftigkeit verringern jedoch die Leistung, die das Gehirn imstande ist zu vollbringen.
Es gibt keinen linearen Fortschritt. Das Leben entwickelt sich vielmehr in Kreisen, vielleicht auch in der Form einer Spirale, die sich der momentanen Stimmung entsprechend nach oben oder nach unten bewegt. Und dazu kommen all diese Augenblicke, in denen man das Gefühl hat, auf der Stelle zu treten, in denen man glaubt, der Tod alleine wäre der einzige Ausweg aus der existentiellen Malaise. Mit einem Mal sehnt man den Tod herbei wie eine stumme Form der Erlösung. Jedoch will man diesen Tod nur unter der Voraussetzung, dass ihm kein langer Leidensprozess vorausgeht. Doch auch eine jähe Wendung zum Guten ist nicht ausgeschlossen, denn plötzlich, zwischen all diesen feingliedrigen Verästelungen des Leidens, erfährt man einen Höhepunkt des Glücks, wobei ich das Glück hierbei einzig und allein als einen meditativen Zustands gleichmäßiger Zufriedenheit und Ausgeglichenheit beschreiben möchte. Man geht durch die Natur und je länger man geht, umso mehr nähert man sich kontinuierlich einer Verschmelzung mit derselben an. Man teilt einen Augenblick mit anderen Menschen, man fühlt sich gebraucht, gewollt und gefunden. Der triste Vorhang des Alltags zerreißt und man lebt nur noch für den Moment, für das Auflodern der durch nichts zu beseitigenden Gegenwart. Glücklich sein bezeichnet, so behaupte ich, einen Zustand, in dem man fast gänzlich vergisst, ein Mensch zu sein.