Warten

 

Du stehst an der Schwelle deines Balkons und rauchst. Regen hat eingesetzt. Die Temperatur ist angenehm mild und du lauschst den Klängen der Musik von Nick Cave. Dein Sein ist leichter geworden. Möglicherweise ist es das Alter, möglicherweise deine immer mehr in den Hintergrund gerückten sexuellen Begierden, deren Aufflackern unter der Einnahme von Neuroleptika zusehends abgenommen haben. Du leidest weniger, so viel steht fest. Und es geht dir auch nichts ab, hast du doch deine Sexualität, solange es noch möglich war, zur Genüge ausgelebt.  

Über die letzten Wochen hinweg hat sich etwas in dir verändert. Wut, Hass und Schwermut sind einem Gefühl der sanften Zuversicht gewichen. Du bist dir im Klaren darüber, dass es in gewissen Situationen des Lebens notwendig ist, sich von toxischen Beziehungen zu befreien. Schließlich geht es darum, mit dir selbst ins Reine zu kommen und eben diese toxischen Beziehungen halten dich nur auf, führen dazu, dass du an der Vergangenheit festhältst und schädliche Verhaltensweisen perpetuierst. Leben jedoch heißt loslassen. Leben heißt der Zukunft mit Freude entgegenzueilen. Leben heißt, keine Angst zu haben davor, sich vor den anderen möglicherweise zu blamieren. Alles was geschieht, hat seinen Grund und ein gleichsam tieferer Sinn speist all dein Denken, Handeln und Fühlen, dass auf die Zukunft ausgerichtet ist. Deshalb ist es unbedingt notwendig, sich dem Leben mit offenen Armen anzuvertrauen.

Du sitzt und wartest auf den für dich entscheidenden Menschen, du wartest auf deinen Lebensmenschen. Dein ganzer Lebenssinn läuft in diesen Knotenpunkt zusammen, alles andere, was rund um dich passiert, scheint seinen Sinn allein aus der Tatsache zu ziehen, dass du um deinen Lebensmenschen kämpfst. Und auch wenn der Weg weit ist, auch wenn es dir in gewissen Augenblicken unmöglich erscheint, an dein Ziel zu gelangen, geht es darum, nicht aufzugeben.