Düstere Aussichten

 

Die Verhältnisse in der Welt verunmöglichen jede Form der Liebe zwischen den Menschen, sie ersticken sie, wie gesagt wird, im Keim. Das Leben ist, daran besteht kein Zweifel, eine traurige Angelegenheit, die nur mehr noch durch die regelmäßige Gabe von Psychopharmaka durchgestanden werden kann. Bereits am Morgen, kurz nach diesem schmerzvollen Augenblicks des Erwachens, der sich einem immer und immer wieder von neuem ins Herz einprägt, überkommt einen eine Übelkeit, die durch nichts zu lindern ist. Der Schaden ist angerichtet und es gibt keine Möglichkeit, sich ihm zu entziehen.

Er steht am Balkon, rauchend. Das Wetter in Wien gleicht dem einer feuchtkalten Nebelkammer, feine Wassertropfen hängen vom Balkongeländer. Er zieht an seiner Zigarette und denkt, dass es an der Zeit wäre, diesem feinädrigen Dunst der Traurigkeit, diesem Zustand der immerwährenden Melancholie etwas entgegenzusetzen. Doch welche Optionen stehen im zur Verfügung, unter denen er wählen könnte? PornHub ist abgedroschen, nach dem Onanieren fühlt man sich zumeist noch schlapper als davor. Klassische Musik wäre eine Möglichkeit, durch klassische Musik entsteht immerzu eine feierliche Stimmung, die sich in seiner Ein-Zimmer-Wohnung ausbreitet. Doch er hat heute keine Lust, weder auf Händels Oratorien, noch auf Bachs Variationen. Er muss es sich eingestehen, es gibt keine Hoffnung mehr, tatsächlich hat man im 21.Jahrhundert an nichts betriebsamer und eifriger gearbeitet, als an der Abschaffung der Hoffnung. Wie Cioran schreibt, bedeutet Leben in einer solchen Zeit nichts anderes als ein Herumbasteln an einer undurchdringbaren und unauflöslichen Ausweglosigkeit.

Das letzte Jahr hat zahllose Wunden in seinem Inneren aufgerissen und er weiß kaum noch, wie es ihm bis zum heutigen Tag gelungen ist, nicht einfach alles hinzuschmeißen. Äußerlich scheint er noch funktionsfähig, sein Körper, seine Organe, alles Physische an ihm scheint den Glauben wach zu halten, dass eine Wende zum Guten im Bereich des Möglichen sei. Doch innerlich fällt es ihm immer schwerer, die kontinuierlichen Fehlschläge und Misserfolge wegzustecken. Seine Einsamkeit, seine psychische Unfähigkeit mit sich selbst ins Reine zu kommen, beschreiben einen Zustand, aus dem er sich ohne Hilfe nicht zu befreien vermag. Er steht seiner deplorablen Situation mit Unverständnis gegenüber. Wie hat es so weit kommen können?