Der Fremde

  

Will man sich einem fremden Menschen mitteilen, um auf diese Weise ein Kennenzulernen zu initiieren, will man ihn mit der eigenen Geschichte konfrontieren, kommt man nicht umhin, unangenehme Passagen und Episoden eben dieser eigenen Geschichte anzusprechen. Doch soll man gleich in die Vollen gehen? Sollte man nicht vielmehr Vorsicht walten lassen? Die eigenen Geschichte ist es, die zwischen dem Selbst und dem Fremden, Unbekannten steht, wie eine Mauer, die, indem man sie behutsam erzählt, langsam eingerissen wird. Ist man bereits in der Lage, dem anderen, dem fremden Gegenüber die eigene Geschichte zuzumuten? Sind da nicht noch zu viele Hindernisse, Abhängigkeiten, Abgründe und Ängste?

Es geht um den richtigen Augenblick, man kann das Glück nicht zwingen. Man muss über einen längeren Zeitraum hinweg mit sich alleine sein, um hernach wieder unter die Menschen zu gehen, um ihnen die eigene Geschichte ohne Wenn und Aber erzählen zu können. Dazu bedarf es Stärke, Willenskraft, man sollte stets danach streben, sich mit dem eigenen Selbst alleine und vorbehaltlos auseinanderzusetzen. Einsamkeit ist der Zustand, durch welchen man sich bereit macht für das Leben unter den Menschen. Es geht darum, ein Bad in eben dieser Einsamkeit zu nehmen, ein Stahlbad in diesem kalten und unwirtlichen Zustand des Alleinseins. Um sich auf einen anderen, fremden Menschen einzulassen, muss man mit sich selbst im Reinen sein. Alle Schlacken und Zoten müssen abgewaschen werden, die eigenen Abgründe wollen gut durchmessen sein. Man darf also nicht vor dem Hintergrund einer Bedürftigkeit auf den neuen Menschen zugehen, vielmehr sollte man zuerst einen Zustand erreichen, in welchem man sich selbst genügt, um den anderen nicht in ein niederes   Abhängigkeitsverhältnis hineinzuziehen. Man muss geduldig sein, warten können, um so den eigenen Dämonen, die im Innersten schlummern, nicht zum Opfer zu fallen. Eine überhastete Kontaktaufnahme mit dem fremden Gegenüber würde alles aufs Spiel setzen, man würde die Ungereimtheiten der eigenen Geschichte nicht zu erzählen vermögen, weshalb immer ein Rest bliebe, der zwischen dem eigenen Selbst und dem Fremde stünde. Wenn man jedoch die vollkommene Verschmelzung mit dem Fremden anstrebt, dann will dieser Rest ausgemerzt werden, sodass das Selbst und der Fremde sich auf einer weiten, grünene Ebene begegnen können, ohne noch etwas von sich zu verbergen.