Erlösungsbedürftig
Mein Leben ereignet sich, ähnlich einer neuronalen Naturkatastrophe biochemischer Prozesse, die aus dem Ruder gelaufen sind. Ich stehe vor meiner Existenz als einem Scherbenhaufen und denke, das alles nicht gewollt zu haben, denke zudem, dass der, der ich bin, von niemanden gewollt werden hat können. Ich hadere mit meinem Schicksal, es widerstrebt mir, mehr noch: es widert mich an. Dass ich all diesen Widrigkeiten zum Trotze weiterleben muss und das dazu nötige Rüstzeug nicht zu Händen habe, erscheint mir als eine unannehmbare Tatsache, schlichtweg als Skandal.
Die Menschen setzen Kinder in die Welt und damit bringen sie den ersten Akt einer Tragödie in Gang, die unabwendbar ihren Lauf nimmt. Am Anfang jeder Zeugung steht eine Portion Selbstüberschätzung gespeist durch eine unverzeihliche, durch sexuelle Reizung hervorgerufene Trübung des Bewusstseins. Am Ende bleiben gegenseitige Vorwürfe, unbeantwortete Liebesbeteuerungen und enttäuschte Erwartungen. Schließlich liegen die Nerven blank.
Mein Leben ereignet sich immer noch mit einer nicht nachlassenden Intensität. Ich sollte die Wäsche waschen, das Nachtmahl zubereiten, eine Portion Optimismus tanken, endlich Ordnung in mein Dasein bringen. Ich sollte Kant lesen und mein Leben nach moralischen Grundsätzen ausrichten. Stattdessen mache ich mich auf, gehe hinaus in die Nacht auf der Suche nach einer Metapher, einem poetischen Fragment, das mich aus meiner Erklärungsnot befreit.
Warum, verdammt, bin ich ein Mensch, der so sehr auf Erlösung angewiesen ist?