Hybris
Der liberale Individualismus zerreißt jedwede Form an zwischenmenschlichen Verbindungen, er vernichtet sie mit der Sprengkraft seiner Maxime, die da lautet: Nieder mit jeder Form der persönlichen Abhängigkeit!
Er sprengt die Ketten, liefert uns der Hypersexualität und einem bleichen, berechnenden Materialismus aus. Er macht uns zu Analphabeten in den Dingen der Liebe, indem er alles den Maßregeln der Bürokratie und der Ökonomie unterwirft. Wir wetteifern, wir kriechen, wir wollen unser Portiönchen an Reichtum und Glanz in Empfang nehmen.
Der Liberalismus verspricht uns die große Befreiung. Doch in Wahrheit fesselt er uns mit seiner hermetischen Kälte an die Logik von Produktivität und Konsum.
Dieses System ist grausam, weil es vermehrt menschliche Ausschussware hervorbringt, lebensuntaugliches Humankapital, dass niemand mehr braucht. Doch wer redet schon von der grauen, amorphen Masse derer, die vor sich hinvegetieren.
Im Liberalismus kommt das Konzept der Nächstenliebe nicht vor. Vielmehr erscheint ihm letztere als antiquiert und verstaubt. Wir haben Gott vom Thron gestoßen und sind stolz auf unsere Selbstbestimmung. Das große Tier der französischen Revolution, die Vernunft, beherrscht den eisernen Käfig der Gesellschaft. Es handelt sich dabei um eine zweckrationale Vernunft bar jeder Herzensbildung, die auf technokratische Weise die Menschen instrumentalisiert.
Auf diese Weise haben wir Gott den Platz auf der Erde genommen, wir haben ihn vertrieben. Nun ist die Welt entzaubert, nun gibt es Bürotürme, Autobahnen, Abtreibungskliniken und den ewigen Fortschrittsoptimismus der Wissenschaften. Wir spielen uns auf als Herrscher über Leben und Tod, wir genießen unsere Allmacht in vollen Zügen. Welch Irrtum!